Das Orgelmuseum im elsässischen Marmoutier

Orgelmuseum Marmoutier Detail

Das Orgelmuseum im elsässischen Marmoutier

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Eine Webreportage von Jörg Rehmann © 2019 – Fotos durch Anklicken vergrößern.

Was ist der Unterschied zwischen dem Welterbe rheinland-pfälzischen Mittelrheinal und einem historischen Dorf im Elsass? Haben wir nicht, kennen wir nicht, geht uns nichts an,  fragen Sie mal im Nachbarort, da sind wir hier nicht zuständig. Auf diese Formel könnte man manche touristischen Erfahrungen bringen, die aus dem Mittelrheintal leider immer wieder berichtet werden. Seit Jahrzehnten kümmern das Welterbe, die tollen Burgen und alten Städte mehr oder weniger vor sich hin, weil eine übergeordnete Tourismus-Strategie unter etlichen Landesregierungen gescheitert ist. Nicht so in Frankreich. Hat man dort erst einmal das Potential regionaler Kultur entdeckt, ist das Ganze Chefsache. Das heißt: alle regionalen Befindlichkeiten und Sperrigkeiten sind ausgeschaltet, die Sache wird in Paris zentral gesteuert und zum Erfolgsprojekt ausgebaut. Und dort wird auch entschieden: Geld, Personal, exquisite Experten, erfahrene Projektpartner und Fachfirmen sorgen für eine Umsetzung, die es in sich hat.

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Kirche St. Etienne Marmoutier © Jörg Rehmann

© Jörg Rehmann

Marmoutier (Maursmünster) gehört zum Kanton Saverne und hat etwa 2700 Einwohner. Im Jahr 590 gründete der heilige Leonhard das Kloster Maursmünster, ein Benediktinerkloster. Seinen Namen verdankt es dem Abt Maurus, der das Kloster im 12. Jahrhundert umbaute und nach Hirsauer Vorbild reformierte. Burg und Stadt Maursmünster sowie die Vogtei über das Kloster waren ein Lehen des Bischofs von Straßburg an die Herren von Lichtenberg (Quelle: Wikipedia).

Die Kirche ist Bestandteil des ehemaligen Klosters aus dem 11. Jahrhundert, von dem noch Teile mit der überwiegenden Fachwerkbebauung verschmolzen sind. Bemerkenswert ist die Verbindung romanischer mit gotischen Stilelementen. So sind die Türme erkennbar romanisch, das Kirchenschiff hingegen gotisch. Doch die historische Orgel des berühmten Barockorgelbauers Anreas Silbermann ist eine absolute Besonderheit und Rarität, da sie nahezu vollständig erhalten ist. Der französische Staat hat beschlossen, sowohl das Kulturgut der historischen und überaus sehenswerten Altstadt als auch jenes der Orgel besonders zu würdigen und touristisch zu erschließen. Diesem Ziel dient das unmittelbar an die Kirche angrenzende Orgelmuseum. Es dürfte weltweit eines der modernsten und spektakulärsten dieser Art sein.

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Orgelmuseum Marmoutier © Jörg Rehmann
Ein erster Blick erweckt den Eindruck, man befindet sich im Innern einer Orgel, und genau das ist das Prinzip des Museums.

Im ersten Gebäudeteil wird ein Überblick über die Geschichte des Orgelbaues gegeben. Nahezu alle Ausstellungsstücke sind in beeindrucker Weise, doch virtuell vorhanden: auf teils großflächigen Touch-Screens sind die Ausstellungsstücke nicht nur vielsprachig erklärt. Sie sind dort häufg sogar dreidimensional gezeigt, so dass man mit dem Finger das virtuelle Objekt drehen und wenden kann. Damit bietet diese Form der Präsentation etwas, das bei den meisten Museen verboten ist: das “Anfassen” von Ausstellungsobjekten. Es geht hierbei nicht nur um deren Darstellung: die Haptik ermöglicht es den Besuchern, und vor allem Kindern und Jugendlichen, selbst aktiv zu werden und damit das Erlebnis zu steigern.

Nachdem im ersten Gebäudeteil vornehmlich die Entwicklung des Instrumentes Orgel gezeigt wird, geht es im zweiten Gebäude um die Orgel in ihrer heutigen Form. Betritt man dem großen Ausstellungsraum, entsteht der Eindruck, man befinde sich im Innern einer Orgel. Genau das ist das Prinzip des Museums. Gewissermaßen ist der gesamte, große Ausstellungsraum eine einzige Orgel, und zwar eine mit allen möglichen, bautechnischen und künstlerischen Rafinessen.

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Orgelmuseum Marmoutier - Blasebalg. Die hölzernen Kanäle links im Bild ziehen sich durch den gesamten Raum und versorgen die komplette Orgelanlage mit Orgelwind.

© Jörg Rehmann

Auch der große Blasebalg ist kein Anschauungs- sondern ein “Mitmach-Objekt”: der Besucher wird von der fachkundigen Führerin zunächst angeleitet, durch Körperkraft die Luft (korrekt: den “Orgelwind”) hineinzupumpen. Dies erfordert schon einige Mühe und lässt ahnen, dass die Anfänge der Orgelmusik stets mit dem körperlichen Krafteinsatz eines oder mehrerer Bälgetreter (“Kalkanten”) verbunden waren. Nachdem der Balg per Muskelkraft erstarkt ist, lässt sich sogleich ausprobieren, dass der Orgelwind zum Anspielen der ersten Pfeifen verfügbar ist. Mit dem Zuschalten des Gebläsemotors wird bald darauf deutlich, welche Erleichterung damit verbunden war, weil mit Einführung der Elektrizität die Orgelspieler länger aus ausführlicher üben und spielen konnten, ohne den Bälgetreter bemühen zu müssen…

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Pedalpfeifen aus Holz und Zinn

© Jörg Rehmann

Rechts neben dem Blasebalg stehen die ersten Pedalpfeifen aus Holz und Zinn. Bemerkenswert: vor dem Fuß jeder einzelnen Pfeife sind kleine Leuchtdioden ins Gehäuse eingearbeitet. Sie leuchten, sobald die Pfeifen erklingen. So wird nicht nur akustisch, sondern optisch nachvollziehbar, dass eine Orgel im Grunde ein ganzer Chor von Pfeifen ist. Und man kann diesen Chor beim Erklingen in Echtzeit “arbeiten” sehen.

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Die Prinzipalpfeifen sind eine der vielen möglichen Bauarten von Orgelpfeifen, - aber sie sind das klangliche Rückgrat der Orgel, während andere Pfeifenbauarten gewissermaßen das 'Gewürz' darstellen. Gemeint ist, dass die verschiedenen Pfeifen-Bauarten auch unterschiedliche Klangfarben erzeugen. So wird der Klang vielgestaltig und reichhaltig.

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Weil die einzelnen  Bestandteile der Orgel an diversen Stellen des Raums verteilt sind, hat man sich bei diesem Instrument für eine elektrische Ansteuerung der Pfeifenventile entschieden. Aber: viele Orgeln werden auch heute noch rein mechanisch bedient. Daher werden auch die Bauformen der mechanischen Kraftübertragung von der Taste zum Pfeifenventil an Exponaten genau gezeigt und beschrieben. Spielbar sind sie sowohl am Objekt selbst mechanisch als auch über den zentralen Spieltisch elektrisch. Spätestens hier wird deutlich, dass die Orgel, in deren Innern man sich als Betrachter hier befindet, ein hoch aufwändiges und komplexes Instrument ist.

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Eine Windlade, also ein Kasten, der von unten mit Orgelwind vollgepumpt wird. Drückt man darunter montierten Klaviaturtasten, so wird die Spielbewegung über ein System von Holzstangen und Zügen bis zum Ventil unterhalb der Pfeifen übertragen. Öffnet das Ventil und ist der zugehörige Zugknopf zum Einschalten der gesamten Pfeifenreihe (Register) gezogen, so kommt der Ton.

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Wo Gott ist, da ist Pracht und Fülle. Ausgehend von dieser Vorstellung brachte vor allem das verspielte Zeitalter des Barock an Kirchenorgeln eine Reihe von klanglichen Spielereien hervor. Auf dem nachfolgenden Foto ist ein vertikal angeordnes Bauteil sichtbar. Es ist das Herzstück eines Harmoniums, das hier von kleinen Elektromagneten angeschlagen wird, sobald die entsprechenden Tasten auf dem zentralen Spieltisch gedrückt werden. Die runden Flügelräder an diversen Objekten werden durch eine Luftdüse angetrieben und signalisieren, sobald die Windlade “unter Druck” steht.

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Orgelregister mit Glockenspiel und Zimbelstern

© Jörg Rehmann

Innerhalb der Orgel gibt es meist mehrere Kästen (“Wndladen”), auf denen Pfeifen stehen. Jede Windlade wird von einer einzelnen Klaviatur angesteuert. So ist die Orgel im Innern im Grunde eine Versammlung mehrerer kleinerer Orgeln, die “Werke” genannt werden. Je nachdem, wo diese Werke bzw. Teilwerke stehen, spricht man von Hauptwerk, Oberwerk usw. Auf dem folgenden Bild ist so ein kleines Teilwerk mit ein paar Reihen Pfeifen ziemlich oben im Raum angeordnet. Die langen, hölzernen Pfeifen stehen darunter. Interessant an diesem Objekt ist, dass alle dortigen Pfeifen denselben Klang und dasselbe Anklingverhalten zeigen, auch wenn sie sowohl aus Zinn wie auch aus Holz gebaut sind. – Ein Hinweis darauf, dass der Klang nicht allein vom Material und der Bauform, sondern auch von der “Intonation” abhängt. Damit gemeint ist die Zurichtung des Pfeifenmundes mit speziellen Werkzeugen, die den Luftstrom beeinflussen. Je nachdem kann der Ton weicher oder schneidender klingen, also mehr Obertöne enthalten und sich somit farbenprächtiger anhören.

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Pfeifen - oben und unten. Das runde Drehrad wird durch Luftzirkulation in Bewegung versetzt. Es bewegt über einen Arm einen Exzenter, der über eine kleine Harfe streicht.

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Auch das folgende Bild zeigt ein Exponat mit verschiedenen klanglichen Spielereien, wie sie im Orgelbau mitunter durchaus üblich sind.

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Ein weiteres Teilwerk mit klanglichen Spielereien. Die zwei Holzpfeifen vor der roten Fläche klingen abwechselnd und imitieren einen Kuckucksruf. Der französische Komponist Olivier Messiaen hat Vogelstimmen aus Ausdruck belebter Schöpfung häufig in seinen Kompositionen verarbeitet.

© Jörg Rehmann

Aufgrund der liturgischen Erfordernisse in der Tradition der (französischen) katholischen Kirche spielt die Führung von Melodien durch starke Register eine gewisse Rolle. Unter anderem dies mag dazu geführt haben, dass Zungenregister im französischen Orgelbau sehr beliebt sind. Dabei wird der Ton nicht durch “Schneiden” des Orgelwinds an den “Lippen” einer Lippenpfeife erzeugt, sondern durch ein schnarrendes Metallplättchen, ähnlich wie bei einem Harmonium.

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Zungenregister - eine besondere Präferenz der französischen Orgeln

© Jörg Rehmann

Ein wenig ähneln die Zungenpfeifen altmodischen Autohupen, die mit einem Gummiball als Blasebalg bedient wurden…

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Zungenpfeifen sind komplizierter gebaut und bestehen aus mehreren, sehr unterschiedlichen Teilen. Der Pfeifenfuß trägt die 'Nuß', in der die klanggebenden Elemente verbaut sind. Obenauf sitzt der Schalltrichter, der den Ton verstärkt.

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Eine weitere Besonderheit ist das Schwellwerk. Mit dem Aufkommen der Konzerthausmusik suchten die Orgelbauer nach mehr Gestaltungsmitteln. Zudem galt Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die alte Kirchenmusik als steif und der Orgelklang als zu starr und statisch. Das Schwellwerk ist ein Teilwerk innerhalb der Orgel, das von einem festen Kasten fest umbaut ist. Es hat jalousieartige Öffnungen, die mit einem Fußpedal am Spieltisch auf- und zugemacht werden können. So ist es möglich, den Klang des Schwellwerks auf- und abzuschwellen. – daher der Name. In Marmoutier sind diese Jalousien aus Mineralglas geferigt und geben den Blick auf das Innere frei.

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Schwellwerk mit gläsenen Jalousien

© Jörg Rehmann

Auch dieses Teilwerk wie alle anderen Exponate des Museums sind vom zentralen Spieltisch aus zu bedienen. Die offene Bauweise der Bestandteile ermöglicht es, alle Teile in Funktion zu beobachten und die Auswirkungen des Orgelspiels am Objekt selbst zu verfolgen.

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Schwellwerk Detail

© Jörg Rehmann

Mitten im Raum stehen mehrere Keyboards, auf deren Notenpult sich einfache Noten in Großdruck sowie Kinderlieder befinden. Die Keyboads sind schon vom Anblick vielen Kindern und Jugendlichen geläufig. Hier können auch Kinder ohne Vorkenntnisse sofort mit und ohne Anleitung zunächst die Bedienung der Spielklaviaturen ausprobieren. Die Besonderheit besteht darin, dass diese Keyboards auf die Spielanlage der großen Orgel, in deren Innern man sich in diesem Raum ja befindet, aufgeschaltet werden. Wer also eine einfache Melodie nachspielen kann, der kann wenig später den Klang seines Spiels an den vielen unterschiedlichen Pfeifen der Orgel rundherum erkunden – eine geniale Motivation, das Orgelspiel zu erlernen!

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Kinder willkommen: zahlreiche Objekte zum Mitmachen

© Jörg Rehmann

Der zentrale Spieltisch ist nicht nur das “Cockpit” der gesamten Orgelanlage, – er ist auch eine technische und handwerkliche Revolution des Orgelbaues. Denn nicht nur alle klanglichen Bestandteile der Orgelanlage sind von dort aus zu bedienen. Die Art, in der dies umgesetzt ist, stellt eine grandiose technische und handwerkliche Perfektion dar. Der Spieltisch entspricht den weltweiten Standards modernen Orgelbaues, er ist ein volltauglicher Konzertspieltisch. Und so lassen sich an diesem Instrument durchaus Konzerte bestreiten, auch wenn der Zuhörer sie aus der ungewöhnlichen Perspektive des Orgelinnern verfolgen kann. Revolutionär ist ist die Übertragung aller Steuerungsimpulse in modernster Digitaltechnik. Dabei ist ein BUS-System verwendet worden, das auf einer einzigen, durch alle Komponenten durchgeschleiften Datenleitung digitale Befehle versendet. Diese werden an jede Komponente individuell adressiert und in Echtzeit umgesetzt. Dies betrifft sowohl das Spiel der Töne als auch die Ein- und Ausschaltung der Klänge (Register). Revolutionär ist auch, dass die Register nicht mehr wie sonst im Orgelbau, einzelnen Teilwerken fest zugeordnet werden müssen. Vielmehr kann der Spieler selbst entscheiden, welchen Registerklang er auf welche Klaviatur legen möchte. So ist es möglich, dass jeder Spieler sich die Orgel im Rahmen der verfügbaren Klänge selbst komplett konfigurieren kann.
Den Höhepunkt bilden dann noch die Lichtszenarien: je nach Stimmung lässt sich das Raumlicht ebenfalls vom Spieltisch per Touch-Screen steuern, farblich gestalten oder pasend zur Musik assoziieren. Ein einziger, großer Touch-Screen-Monitor ist die Kommandozentrale der Gesamtanlage.
Die Orgel wurde durch die deutsche Orgelbaufirma Waldkircher Orgelbau Jäger und Brommer aus dem Schwarzwald erstellt. Damit ist es der französischen Kulturgüterverwaltung im Marmoutier gelungen, das Weltkulturerbe der Orgel an historischem Ort in seiner ganzen Bedeutung und Bandbreite bis hin zu Moderne darzustellen. Der Eintritt ist äußerst gering, die Führungen kompetent und mehrsprachgig. Und – natürlich dürfen gelernte Orgelspieler allen Alters nach Herzenslust selbst spielen!

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Volldigitaler High-End-Spieltisch

© Jörg Rehmann

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© Jörg Rehmann

Jörg Rehmann

Journalist - Autor

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