
Weitere 200 Windräder im Rhein-Hunsrück-Kreis – gesamter Soonwald betroffen?
Offensichtlich überraschend muss kürzlich eine Anweisung an die zuständigen Stellen des Landkreises auf Ausweisung von Flächen für weitere 200 Windräder ergangen sein. Die Informationslage ist bei Verfassung dieses Textes noch unübersichtlich. Hintergrund ist möglicherweise der Umstand, dass für die Welterbeflächen rund um das Mittelrheintal und den Flughafen Hahn Ausschlusskriterien gelten. Dies könnte dazu geführt haben, dass nun weitere Flächen gefordert werden.
Der Rhein-Hunsrück-Kreis hat derzeit 284 Windräder am Netz, genehmigt sind weitere 15 und beantragt 2 Stück. Dies entspricht einer Nennleistung von 829.870 Kilowattstunden, – wenn denn Wind weht. Da eben oft kein Wind weht, muss hinter jeder Anlage der Erneuerbaren-Erzeuger eine entsprechende Ausgleichskapazität vorgehalten werden. Allein im Jahr 2023 sind die Kosten für den steten Ausgleich von Netzschwankungen weiterhin exorbitant angestiegen. Je mehr Erneuerbare, desto mehr Schwankungen müssen kompensiert werden. Die Zahl kritischer Netzschwankungen steigt deutlich an. Kommt es gleichzeitig (wie geplant) zur Stillegung von Kohlekraftwerken, potenzieren sich diese Aufwände und das Risiko eines Zusammenbruches des Stromnetzes steigt – wie vom Bundesrechnungshof in seinem jüngsten Sonderbericht massiv kritisiert.
Nur noch begrenzte Abwehrmöglichkeiten
Die Bundesregierung hat eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen erlassen, mit denen der Ausbau der Erneuerbaren erheblich beschleunigt werden soll. Der Natur- und Landschaftsschutz wurde dazu praktisch abgeschafft.
Zu Beginn der Windkraftnutzung im Hunsrück wurde der Bevölkerung im Rhein-Hunsrück-Kreis ein maximaler Flächenanteil von 2 Prozent zugesichert. Ungeachtet dieser Zusicherungen wurde der Wert bis dato immer weiter auf derzeit 3,3 Prozent gesteigert. Dieser Wert könnte sich mit weiteren 200 Windrädern somit fast verdoppeln: kein Ort, keine Siedlung, kein Wald, kein Erholungsraum mehr ohne Überprägung durch die Rotoren. Geändert haben sich auch die Flächen- und Abstandsberechnungen; die von den Rotorblättern überstrichene Fläche wird nicht mehr voll als Flächenverbrauch gezählt. Diese Praxis führt derzeit gerade zwischen Bayern und Tschechien zu Verstimmungen, nachdem in Bayern Windräder genehmigt wurden, deren Rotoren die tschechische Grenze überstreichen sollen.
„Kalt erwischt“
Informierte Kreise im Hunsrück berichten, dass die Nachricht große Unruhe im Kreishaus verursacht habe, und zwar unter allen im Kreistag vertretenen Fraktionen. Für den morgigen Montag, den 13. Mai ist eigens ein Tagesordnungspunkt in die Sitzung des Kreisausschusses zur Windkraftplanung aufgenommen worden. Im Vorfeld ist es zur Abfassung eines Resolutionsentwurfes gekommen, in dem der Kreistag gegen die Erweiterungsplanung votieren soll. Eine solche Resolution ist nicht rechtsverbindlich und gegen die Durchsetzung durch Bund und Land praktisch wirkungslos. Der Resolutionsentwurf stellt die erheblichen Anstrengungen des Kreises für die Energiewende heraus. Ferner wird darin bezweifelt, dass die Netzkapazitäten für eine nahezu Verdoppelung des Windradbestandes voraussichtlich nicht mehr ausreichen, so dass zu den Windrädern noch einmal erheblicher Ausbau von Leitungen, Transformatoren usw. hinzukomme. Aufgrund des Ausschlusses des Welterberaumes und des Flughafens Hahn verdichte sich der Anlagenbau in den übrigen Gebieten unverhältnismäßig.
Bis auf 650 Meter an Siedlungen heran? – Soonwald komplett industrialisiert
Bis auf 650 Metern solle der Ausbau an manche Bebauung und Besiedelung heranreichen, in Gödenröth bis auf 900 Meter. Im Bereich der Artenschutzsensiben Bachtäler solle der Ausbau massiv vorangetrieben werden, so auf die Linie Dommershausen, Eveshausen, Dorweile (Burg Waldeck!), Spesenroth bis nach Hollnich. Besonders dramatisch dürften die Planungen im Soonwald sein: hier galt bisher – ebenfalls rechtsunverbindlich – der Konsens, die Flächen südlich der B50 freizuhalten. Dieser Konsens könnte nach den neuen Vorgaben fallen. Wie zu erfahren war, liefe das auf eine Überbauung der gesamten Soonwald-Höhe vom Steinbruch Argenthal bis einschließlich der hoch Artenschutz-sensiblen Gemündener Höhe sowie bis nach Schwarzerden hinaus. Dort hatte erst kürzlich eine große Mehrheit der Bevölkerung gegen einen örtlichen Ausbau der Windkraft gestimmt. Der Schutz der Kernzonen wurde durch Landesverordnung bereits aufgeweicht. Das Fürstenhaus Salis-Soglio (Schloss Gemünden) soll angeblich sein Interesse an einer Öffnung seiner Flächen zwischen Gemünden und Schwarzerden bekundet haben. Träfe all dies zu, so würden sämtliche Zusicherungen, die man bislang der Bevölkerung auf eine weitgehende Begrenzung des Windkraft- und Erneuerbaren-Ausbaues gab, komplett über den Haufen geworfen. Das erfolgreiche regionale Werbelabel „Gelobtes Land – Leben, Arbeit, Raum“ erschiene vor diesem Hintergrund wie eine unrealistische Karikatur.
„Den Hunsrück opfern“…
So heißt es in dem Resolutionsentwurf, über den am 13.5. beraten werden soll: „Bei derzeit 284 laufenden, 15 genehmigten und weiteren 2 beantragten WEA in der Region wird ein zusätzlicher massiver weiterer Zubau im Landkreis in der Bevölkerung nicht mehr vermittelbar sein. Zudem sind gerade sensible Gebiete in der Region zu schützen, der Kreistag hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach, zuletzt am 20.06.2022 klar gegen die weitere Windkraft im Soonwald positioniert.“
Besonders bitter klang die Äußerung von informierten Kreisen, dass den aktuellen Planungen das Vorhaben zugrunde läge, den Hunsrück jetzt zu Gunsten des Welterbe-Tales „zu opfern“. Schon im Jahr 2013 hatte ein viel beachtetes Papier des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung die Entsiedelung der Landregionen und ihre Nutzung nur noch als Energielandschaften gefordert. Dagegen häufen sich mittlerweile Stimmen aus der Wirtschaft, die den willkürlichen Zubau von Erneuerbaren anzweifeln, unter anderem weil Netzinfrastruktur, Planungssicherheit und gesamtwirtschaftliche Lage nicht in dem Maße mithalten.
Nachtrag 1.7.24: der Kreistag des Rhein-Hunsrück-Kreises hat zwischenzeitlich eine Resolution gefasst und die ursprünglich geplante Ausweitung der Windkraft abgelehnt. Der Planungsgemeinschart Mittelrhein-Westerwald ist dem gefolgt und hat die Planungen anderweitig auf die Landkreise verteilt. Allerdings können einzelne Gemeinden weiterhin Flächen für Windkraft ausweisen, was im Hunsrück auch der Fall ist. Die Gefahr für weitere Landschaftszerstörungen ist daher nicht gebannt.