Ruth Rehmann – eine Erinnerung

Ruth Rehmann – eine Erinnerung

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Es war Mitte der 80er Jahre. Ich hatte mein erstes Auto und begann, den Aktionsradius auszuweiten. Wir fuhren nach Altenmarkt zu meiner Großcousine Ruth Rehmann. Sie wohnte in einer ehemaligen Mühle an den Mäandern der Alz, die aus dem Chiemsee hinausfließt….


Es war eine herzliche Aufnahme. Am ersten Abend eruierte ich die komplizierten Familienverhältnisse, die uns verbanden. Bald fanden wir gemeinsame Erinnerungsorte im Rheinland. Ein herzlicher Abend und Gespräche bis kurz vor Mitternacht bewirkten, dass echtes Familiengefühl aufkam. Kurz vor Mitternacht beendete Ruth die Gespräche, denn morgens, ab 5 Uhr, bevor die Kinder zur Schule gingen, musste sie schaffen: mit eiserner Disziplin schrieb sie dann an ihrem Roman “Aschied von der Meisterklasse“.

Doch was Ruth und mich verband, war vor allem auch das kreativ-querdenkerische Künstlerleben. Auch wenn sie (Jahrgang 1922) generationsbedingt andere Erfahrungen machen musste, gab es eine große Gemeinsamkeit in der Art, bestimmte Dinge zu sehen und anzupacken. In meinem Familienteil galt Ruth als Enfant terrible, als nicht integrierbarer Freigeist. Aber ihr Hang zu Musik, Sprache, Literatur, und zur Sozialität und Menschlichkeit waren so typisch Rehmann, dass wir auch schnell eine Verwandtschaft im Geiste spürten. Dass sie mir jahrelang als Enfant terrible beschrieben worden war, hüllte Ruth – vor unserer ersten Begegnung – in eine Aura des Interessanten. Meine Fahrt zu ihr mit dem ersten eigenen Auto war so gesehen auch ein Akt der Emanzipation von familiären Voreingenommenheiten.
Die erste Nacht an der Alz verbrachten wir in einem Nebengebäude der ehemaligen Mühle. Da war vom Keller bis zum Dach der Holzwurm drin und wir hatten allen Grund zur Sorge, dass die morschen Dielen nachgaben und uns vom kuscheligen Dachgeschoss unsanft durchkrachen ließen. Aber die Dielen hielten. Am Morgen fand ich Ruth mit zwei ihrer Kinder badend in den Fluten der Alz. Schnell war auch ich mit Begleitern im eiskalten und glasklaren Wasser untergetaucht. Es folgte ein Frühstück in ihrer Wohnung in der Mühle. Während das Kaffeewasser siedete, griff Ruth zur Geige und spielte, eben mal so und professionell, aus der Partita Violine solo von Johann Sebastian Bach. Ein unvergesslicher Eindruck.

Liebe Ruth, ich bin so traurig, dass uns das Leben nicht mehr zusammengeführt hat. Zu stark und bestimmend war das Eigene, zu weit die Entfernung, zu fordernd die alltäglichen Aufgaben.

Eben las ich einen Nachruf in der Süddeutschen vom Februar. Aber, sei getrost, wir sehen uns noch, und ich bringe den Band mit den Faksimiles der Autographen von Bach mit, versprochen.

https://www.sueddeutsche.de/kultur/nachruf-ferne-schwester-1.2849033

https://www.gruene-traunstein.de/ortsverbaende/ortsverband-trostberg/trauerfeier-fuer-ruth-rehmann/

Jörg Rehmann

Journalist - Autor

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